Traumatherapie, Fortbildung Stuttgart

Trauma- die Realität im Alltag Vieler

Ein Trauma kann entstehen – was ist das überhaupt und wer kann das bekommen?


Heftige, lebensbedrohliche Erlebnissse, die nicht gut verarbeitet sind, können zu unterschiedlichen Traumafolgestörungen führen. Diese entstehten als Folge einer oder auch  mehreren Erlebnissen, die die Person auch nach einer gewissen Zeit nicht wirklich verarbeiten konnte. Die Seele ist nachhaltig verletzt und auch die Zeit heilt bei Trauma leider nicht.

PTBS (Posttraumatische Belastungsstörungen) können zum Beispiel durch einen Autounfall, ein Erdbeben, Misshandlungen, Gewalterfahrungen, Missbrauch, Kriegsschrecken, emotionale Unter- oder Überversorgung im Kindesalter entstehen. Die betroffenen Personen erleben dabei Totesangst, Hilflosigkeit, tiefe Verzweiflung, Ausweglosigkeit, Ekel und Resignation.

Auch Augenzeugen von schlimmen und lebensbedrohlichen Situationen können eine PTBS entwickeln, wenn diese die Situation nicht verarbeiten können. Wenn man zum Beispiel miterleben muss, wie die eigene Schwester oder die Mutter vergewaltigt oder geschlagen wird und dabei hilflos zusieht. Grundsätzlich kann jeder Mensch an verschiedenen Traumafolgestörungen erkranken, wenn die schrecklichen Erlebnisse einfach zuviel, zu heftig, zu bedrohlich, zu häufig und vor Allem schon in jungen Jahren geschehen sind.

Obwohl unterschiedlichste traumatische Erlebnisse Auslöser einer Traumafolgestörung sein kann, haben Sie dennoch eines gemeinsam: Sie gründen auf außerordentlich leidvolle Erlebnisse, bei denen man entweder selbst eine außergewöhnlich Bedrohung und Belastung  erlebt hat oder eine außergewöhnliche Bedrohung von anderen miterleben musste.

Abzugrenzen ist ein Trauma von negativen und schlimmen Lebensereignissen, die in jedem Menschenleben vorkommen, die aber, z.B. mit Hilfe anderer Menschen, im Laufe der Zeit verarbeitet werden.

Grundsätzlich sind Erwachsene oft besser in der Lage, mit bedrohlichen oder schlimmen Erfahrungen fertig zu werden. Jugendliche und insbesondere Kinder haben es erheblich schwerer, mit schlimmen, belastenden, angstmachenden Situationen gut fertig zu werden. Ihre emotionale und kognitiven Verarbeitungsmöglichkeiten sind viel eingeschränkter und somit sind Kinder auch deutlich häufiger von Traumastörungen betroffen. (F. Ruppert „Trauma, Angst & Liebe“ 2015)

Was sind Risikofaktoren für eine posttraumatische Belastungsstörung?

  • Obwohl grundsätzlich jeder Mensch an Traumafolgestörungen erkranken kann, löst nicht jedes schlimme Erfahrung zwangsläufig eine PTBS aus. Hier sind beispielhaft einige Einflussfaktoren, die das Risiko erhöhen:
  • Das Lebensalter spielt eine besondere Rolle, umso jünger ein Kind ist, umso mehr ist es auf Schutz, Sicherheit, gute Bindung und Geborgenheit angewiesen. Dauerstress kann die Seele eines Kindes nachhaltig verletzen und zu schweren Traumafolgestörungen führen.
    Man kann es sich so vorstellen: ein dünner Ast bricht eben schneller wie ein dicker Ast.
  • Die Dauer und besondere Schwere der Ereignisse sind weitere Risikofaktoren. Eine schreckliche Erfahrung kann man vielleicht gerade noch wegstecken, viele schreckliche Erfahrungen, egal ob ähnliche oder unterschiedliche, können die Seele mürbe machen und dann zerbrechen. Manche reden in diesem Zusammenhang von Seelenkollaps.
  • Wichtig wäre es, dass nach sehr belastenden Erfahrungen Menschen da sind, die die betroffene Person trösten, ihr wieder Schutz und Zuversicht geben und dabei helfen, über das Geschehene zu reden. Wenn aber auch Freunde und Familie betroffen sind und die Person mit ihrem Leid allein gelassen wird, ihr niemand glaubt oder sie Angst hat, etwas zu sagen, wird die Verarbeitung schwieriger und Traumafolgestörungen können eher entstehen.
  • Misshandlungen und Missbrauch durch andere Menschen, und ganz besonders durch nahe und wichtige Vertrauens- oder Bezugspersonen, werden deutlich schwerer verkraftet als Unfälle oder sonstwie bedrohliche Erfahrungen, die vielen gleichzeitig passiert sind und wo die Person sich nicht absichtlich betroffen fühlt.
  • Ein weiteres Risiko ist das Leben in ärmlichen Verhältnissen. Die dauernde Mangelerfahrung in vielen lebenswichtigen Bereichen kann ein Dauerstress bedeuten, der die emotionale Belastbarkeit deutlich verringert. (J. Herman „Die Narben der Gewalt“ 2010)

 

Wie kann sich eine posttraumatische Belastungsstörung auswirken?

Dazu muss man wissen, dass die Folgen einer oder mehrerer traumatisch verarbeiteten Erfahrungen über die Jahre sehr unterschiedlich sind und sich auch verändern können. Je nach Alter und Situation können sich Traumafolgestörungen zeitnah zu den Erfahrungen aber auch erst sehr viel später zeigen.
Nicht wenige schaffen es, trotz ihrer Traumata, einige Zeit bis viele Jahre ein relativ unauffälliges Leben zu führen. Allerdings wirken unverarbeitete Traumata wie Zeitbomben. Früher oder später zeigen sich die unverarbeiteten Erlebnisse eben doch, manchmal sehr zur Überraschung der Betroffenen selbst.
Hier sind einge typische Symptome:

  • Alpträume und andere Schlafstörungen
  • Wiedererleben des Geschehenen wie innere Bilder, Geräusche, Berührungen, Situationen machen Angst, Panik, Ekel etc. (Intrusionen, flashback)
  • Angst- und Zwangsstörungen
  • Übereregbarkeit (Hyperarrousel), Dauerstress, innere Unruhe
  • geringe emotionale Stabilität, Personen „rasten schnell aus“, reagieren heftig, sind oft und schnell „außer sich“, können sich schlecht emotional regulieren etc.
  • Persönlichkeitsstörungen, Beziehungsstörungen, Misstrauen, soziale Ängste (Phobien)
  • emotionale Stumpfheit, Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit der Umgebung und anderen Menschen gegenüber  (Numbing)
  • (unbewusste) Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten (Konstriktion)
  • Konzentrationsschwierigkeiten 
  • Körperliche Erkrankungen, Somatisierungsstörungen
  • Dissoziative Störungen
  • Suchterkrakungen
  • Suizidale Tendenzen
  • Depressionen, häufige Erschöpfungszustäne

(C. Sautter „Wenn die Seele verletzt wird“ 2012; G. Fischer, P. Riedesser „Lehrbuch der Psychotraumatologie“ 2009)


Was geschieht, wenn ich an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide?

Häufig kommt es vor, dass die traumatisierenden Szenen oder auch nur kleinere Erinnerungssprengsel immer wieder ungewollt in das Bewusstsein dringen.

Ein Geruch, ein Geräusch, eine Berührung, eine ähnliche Situation, ein Thema, ein Mensch – plötzlich ist das Erlebnis wieder präsent und beeinflusst das Denken, Fühlen und Handeln. Es ist für einen kurzen oder längeren Moment wieder so, wie es in der Traumaverursachenden Situation war („als ob Erfahrung“). Panik, Ekel, Übelkeit, Schweißausbruch, Fluchttendenzen oder Aggressionen kommen hoch, ohne dass ich in dem Moment die eigenen Empfindungen und Verhaltensweisen steuern kann. Besonders nachts kommt das Erlebte wieder hoch. Albträume sind häufig. Diese sind verbunden mit schweißüberströmtem Aufwachen und plötzlich auftretenden Ängsten, die dafür sorgen, dass man ständig in Alarmbereitschaft versetzt wird. Diese Übererregung (Hyperarrousel) funktioniert wie ein Alarmknopf, der sich verklemmt hat und nicht mehr ausgeht. Dies führt bei vielen Betroffenen zu einer starken inneren Unruhe und wirkt sehr erschöpfend. (A. B. Horn, A. Maerker in: „Handbuch der Psychotraumatologie“ 2011)

 

Judith Herman hat in ihrem Fachbuch „Die Narben der Gewalt“ typische Folgen von nicht verarbeiteten Traumasituationen zusammengestellt. Einige davon möchte ich hier auflisten:

  1. Veränderungen in der Regulation von Affekten und Impulsen (Affektregulation, Umgang mit Ärger, autodestruktives Verhalten, Suizidalität, Störungen der Sexualität, exzessives Risikoverhalten)
  2. Veränderungen in Aufmerksamkeit und Bewusstsein (Amnesien, zeitlich begrenzte dissoziative Episoden und Depersonalisationserleben)
  3. Veränderungen der Selbstwahrnehmung (Ineffektivität, Stigmatisierung, Schuldgefühle, Schamhaftigkeit, Isolation und Bagatellisierung, Verlust des Selbstwertgefühls)
  4. Veränderungen in Beziehungen zu anderen (Unfähigkeit anderen Personen zu vertrauen, Reviktimisierung, Viktimisierung anderer Personen)
  5. Somatisierung (z.B. Gastrointestinale Symptome, chronische Schmerzen, kardiopulmonale Symptome, Konversionssymptome, sexuelle Symptome)
  6. Veränderungen von Lebenseinstellungen (Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, Verlust früherer stützender Grundüberzeugungen)

Im Rahmen einer TraumaSensiblen Beratung oder Therapie geht es zunächst darum, den Betroffenen zu helfen, sich und ihre Beeinträchtigungen, Reaktionsmuster und Belastungen im Alltag besser zu verstehen – also mehr Verständnis für die eigenen Reaktionen zu erlangen (Psychoedukation).

Grundsätzlich wird jeder Schritt in der TraumaSensiblen Beratung mit den Klient/innen abgesprochen. Es passiert nichts, was nicht ausdrücklich gewünscht wird.

Allgemein ist das Ziel, im Alltag mehr Sicherheit und Stabilität zu gewinnen, eigene Stärken (wieder) zu entdecken und schwierige Situationen besser zu erkennen und gelingender umzugehen.

In einem verständnisvollen und achtsamen Prozess können korrigierende, stärkende Erfahrungen helfen, verlorengegangenes Selbstbewusstsein und Selbstvertraunen wieder neu zu gewinnen.

Unser Hirn kann zwar früher gemachte, traumatsiche Erfahrungen nicht wirklich vergessen, aber es kann neue, stärkende, gute Erfahrungen lernen und diese können die Traumaerinnerungen und Reaktionsmuster mehr und mehr in Hintergrund treten lassen. (L. Reddemann „Imagination als heilende Kraft“ 2012)


Das Geschehen – das Trauma – verändert nachhaltig das Selbstverständnis und das Weltverständnis der betroffenen Person.

So kann das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten (Selbstwirksamkeit), aber auch in andere Menschen nachhaltig beeiträchtigt sein.

Die Verarbeitung von zu schlimmen, zu häufig wiederkehrenden, immer wieder erlebten lebensbedrohlichen Situationen kann man sich, bildhaft gesprochen, so vorstellen:

Eine riesige Schweinshaxe liegt vor uns auf dem Teller (damit ist die Traumasituation gemeint). Es ist völlig klar, dass dieses große Stück niemals in einem Bissen runtergeschluckt werden kann. Also schneiden wir immer wieder ein kleines Stück mundgerecht ab.

So verarbeitet, bildlich gesprochen,  das Hirn Erfahrungen, die emotional einfach zu groß, zu heftig, zu stressig und zu lebensbedrohlich  sind. Die Erfahrungen werden in einzelne Teile abgespeichert (fragmentiert), wie ein Puzzle, und diese einzelnen Erinnerungssprengsel bilden das Traumagedächnis. (u.a. M. Huber „Trauma und die Folgen“ Teil 1, 2009; E. Garbe „Das kindliche Entwicklungstrauma“ 2015)

In der TraumaSensiblen Beratung ist es das Ziel, diese Puzzleteile nach und nach kennen zu lernen und wieder so zusammen zu fügen, dass die schlimmen Erfahrungen schonend und verträglich verarbeitet werden können. Somit kann zunehmend wieder das Gefühl entstehen, gut bei sich selbst zu sein, sich besser abzugrenzen, fürsorglich mit sich umzugehen und den beruflichen und persönlichen Alltag wieder angemessener und gegenwartsbezogener zu bewältigen.